Sind Millionen-Defizite in Wernigerode das neue Normal?
Wernigerode steht vor einer zunehmend besorgniserregenden finanziellen Entwicklung. Jahr für Jahr zeigen die Haushaltspläne der Stadt Defizite in Millionenhöhe – eine Entwicklung, die viele Fragen aufwirft. Sind diese Defizite eine vorübergehende Herausforderung, oder müssen wir uns auf ein langfristiges Phänomen einstellen?
Ein Blick auf die (roten) Zahlen
Eine Analyse der Haushaltszahlen zeigt ein klares Bild: Die städtischen Erträge reichen nicht aus, um die Aufwendungen zu decken. Während die Erträge durch Steuereinnahmen und Zuweisungen des Landes leicht ansteigen, wachsen die Ausgaben weitaus stärker.
Ein Beispiel aus dem aktuellen Haushaltsplan: Im Jahr 2025 erwartet Wernigerode Erträge von rund 89,7 Millionen Euro, denen jedoch Aufwendungen von knapp 92 Millionen Euro gegenüberstehen. Das Ergebnis: ein Minus von über zwei Millionen Euro. In den kommenden Jahre wird es nicht besser, eher schlimmer.
Was bedeuten Defizit für die Bürger?
Ein dauerhaft defizitärer Haushalt hat natürlich auch direkte Auswirkungen auf die Einwohner. Eine Folge ist z. B. eine endlose Kette realer Steuererhöhungen und Gebührenanpassungen sowie eine Streichung kommunaler Dienst- und Unterstützungsleistungen. So wurden bspw. die städtischen Förderprogramme für Vereine und Initiativen gekürzt, Eintrittsgelder in die Bäder und die Kita erhöht. Eine grundsätzliche Verbesserung der Haushaltslage trat dadurch aber nicht ein. Denn Wernigerode hat kein Einnahmenproblem, unsere Stadt hat ein Ausgabenproblem.
Die Ursachen hinter den Defiziten
Die Haushaltslage von Wernigerode spiegelt nicht nur lokale Herausforderungen wider. Auch externe Faktoren tragen zu den Defiziten bei:
Die Inflation hat die laufenden Ausgaben deutlich erhöht, auch weil die Löhne und Gehälter der Beschäftigten zum Ausgleich der Kaufkraftverluste kräftig stiegen. Parallel dazu stiegen die Preise für die Investitionen in den Erhalt der kommunalen Infrastruktur. Das macht unserer Stadt ebenso zu schaffen wie anderen Kommunen.
Ein hausgemachtes Wernigeröder Problem aber sind die hohen Defizite der verschiedenen Prestige-Projekte, die in den vergangenen zehn Jahren mit Fördermitteln des Landes hingeklotzt wurden. So „produziert“ allein die Schierker-Feuerstein-Arena in diesem Jahr einen negatives Betriebsergebnis in Höhe von 772.000 €. Zum Vergleich: Das Gesamtaufkommen der Einnahmen aus der Kurtaxe in Schierke ist mit etwa 600.000 € geplant.
Auch die Kulturkirche hat sich binnen weniger Jahre zur wirtschaftlichen Vollkatastrophe entwickelt. Zuerst brachte die vielgerühmte Spielstätte das Kammerorchester im Jahr 2023 an den Rand der Überschuldung (vgl. Beteiligungsbericht 2023 Stadt Wernigerode; Beteiligungsbericht 2023 Landkreis Harz). Im Jahr darauf musste die ehemalige Kirche dann über ein Pachtverhältnis mit dem kommunalen Unternehmen Wernigeröder Tourismus GmbH selbst gerettet werden. Künftig bezahlen die Wernigeröder Steuerzahler die Defizite dieses Hauses, von dem es 2019 noch hieß, dass es sich selber tragen werde. Im Klartext: Die Verluste der Kulturkirche werden die Millionenlöcher im Haushalt der Stadt zusätzlich vergrößern.
Ist das neue Normal vermeidbar?
Die zentrale Frage lautet: Gibt es überhaupt Spielraum, um die Defizite im städtischen Haushalt langfristig zu reduzieren? Die Antworten darauf sind komplex. Einerseits müssen Einsparpotenziale in der Verwaltung gehoben und genutzt werden. Gezielte Maßnahmen, wie eine konsequente Digitalisierung der Verwaltung können langfristig Kosteneinsparungen bringen. Ebenso wichtig scheint es aber zu sein, bei der Mehrheit der Stadträte eine Lernkurve auszulösen. Vor wichtigen Investitionsentscheidungen müssen die – oftmals vorliegenden, aber konsequent ignorierten – Betrachtungen der Folgekosten eine stärkere Rolle spielen als bisher. Nur wenn sich die banale Einsicht durchsetzt, dass eine Stadt mit 31.000 Einwohnern begrenzte finanzielle Möglichkeiten hat, werden wir das bestehende Niveau an Lebensqualität sichern können.
Die erste Nagelprobe wird die Entscheidung über das Rathaus im Ortsteil Schierke sein. Soll die marode Immobilie in dem 500-Seelen-Dorf mit Millionenaufwand hergerichtet werden? Oder reicht es mit einem Umzug von Büros und Vereinsräumen in die ehemalige Touristinformation auch eine Nummer kleiner? Darüber wird der Stadtrat in diesem Jahr zu entscheiden haben.
Fazit: Eine gemeinsame Herausforderung
Die Millionen-Defizite sind ein Weckruf. Sie erfordern nicht nur politisches Handeln, sondern auch eine breite Diskussion in der Bevölkerung darüber, wie Wernigerode zukunftsfähig bleiben kann. Transparenz und der Mut, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen, werden entscheidend sein, um die finanzielle Stabilität der Stadt langfristig zu sichern. Ob die Defizite wirklich das „neue Normal“ werden, liegt letztlich in den Händen aller Beteiligten.