Koste es, was es wolle: Stadtrat für Übernahme der Kulturkirche
Wernigerode, 5. Juni 2024: Vier Tage vor der Kommunalwahl hat sich der Finanzausschuss des Stadtrates mit der Übernahme der Kulturkirche durch ein Tochterunternehmen der Stadt Wernigerode befasst. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Bis auf die Gegenstimme des Stadtrates Thomas Schatz (Bündnis für Wernigerode | BfW) und den Enthaltungen der Vertreter der Fraktionen Haus & Grund und DIE LINKE befürworteten die anwesenden Stadträte die Übernahme des Betriebs der Kulturkirche durch die städtische Tourismus GmbH (WTG). SPD, CDU und Grüne waren einhellig der Meinung, dass es eine gute Idee sei, die in wirtschaftliche Schieflage geratene Kulturstiftung/Kulturkirche mit Geld aus der – gähnend leeren – Stadtkasse zu retten. Rund eine viertel Million Euro dürfte dies kosten, Jahr für Jahr.
Oberbürgermeister Tobias Kascha (SPD) machte gleich zu Beginn der Diskussion klar: Die Rettung der Kulturkirche habe Priorität. Man solle nicht in die Vergangenheit blicken, sondern den Fokus auf die Zukunft richten – eine klare Anweisung, um Debatten über die Ursprünge des kultupolitischen und finanziellen Desasters zu vermeiden. Aus Sicht der SPD verständlich, schließlich waren es Stadtrat und Stiftungsvorstand Rainer Schulze (SPD) und Ex-OB Peter Gaffert (parteilos, aber SPD-Kandidat), die den Bau der Kulturkirche vorangetrieben und warnende Stimmen ignoriert hatten. „Der Betrieb des Konzerthauses werde kostendeckend laufen und keine Zuschüsse aus der Stadtkasse benötigen“, lautete die seinerzeitige, wenig glaubwürdige Versprechung. Im Jahr 2018 stimmte der Stadtrat auf dieser Grundlage einem einmaligen Zuschuss von 460.000 Euro an die Kulturstiftung zu, um Fördermittel für den Umbau der ungenutzten Liebfrauenkirche zu sichern.
Stadtrat Thomas Schatz (BfW) widersprach vehement und meinte, es sei falsch, nicht zurückzublicken. „Denn so verspielen wir die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, um sie in Zukunft zu vermeiden.“ Er verwies darauf, dass es von Beginn an Zweifel an der Tragfähigkeit des Projektes gegeben habe. „Wir haben damals gesagt, wer Kultur fördern will, muss in Köpfe investieren, nicht in Steine.“ Weiter kritisierte Schatz, dass die angestrebte Finanzierung des Kulturkirchen-Defizits durch eine Erhöhung der Kurtaxe eine Mogelpackung sei. Selbst eine erhöhte Kurtaxe reiche nicht aus, um die bestehenden touristischen Aufwendungen zu decken. Dies belege die Kalkulation der Kurtaxe, die dem Finanzausschuss im vergangenen Oktober vorgelegt wurde – als von einer Übernahme der Kulturkirche noch keine Rede war. Im Klartext: Die Verluste der Kulturkirche kommen „on top“ und müssen tatsächlich aus dem allgemeinen Haushalt finanziert werden. Diese Feststellung blieb unwidersprochen.
Im weiteren Verlauf der Diskussion spielten finanzielle Aspekte dann kaum noch eine Rolle. Die überparteiliche Kulturkirchen-Einheitsfront war sich einig: Mit verbessertem Marketing und neuen Veranstaltungsformaten werde man das Projekt schon stemmen. Ähnlich argumentierte man auch schon bei der Schierker Feuerstein-Arena – mit dem Ergebnis, dass die jährlichen Verluste mittlerweile über 600.000 Euro betragen.
Völlig unbeachtet blieb ebenfalls die Tatsache, dass das Philharmonische Kammerorchester (PKOW) als Hauptmieter der Kulturkirche im Jahr 2026 mit der Halberstädter Harz Theater GmbH verschmelzen wird. Ob die Proben des Orchesters dann noch in der Kulturkirche stattfinden, ist fraglich: Jede Probe würde dort eine hohe Miete kosten, während das Orchester in den Räumen des Theaters in Halberstadt kostenlos üben könnte.
Die Befürworter der Kulturkirchen-Übernahme beschworen dafür andere Aspekte. So sei die Kulturkirche wichtig für die Entwicklung der Burgstraße, die angeblich durch das Konzerthaus bereits jetzt einen spürbaren Aufschwung erlebe. Auch drohe bei einer Insolvenz der Kulturstiftung größeres Unheil, weil auch das Museum im Schiefen Haus und der Kunst- und Kulturverein betroffen wären. Diese Behauptungen blieben jedoch vage.
Fazit: Die Stadträte befinden sich in einer schwierigen Entscheidungssituation. Fakt ist aber, dass der städtische Haushalt in den kommenden Jahren Millionenlöcher aufweist und die Erhöhung der Kurtaxe nicht ausreicht, um die Verluste der Kulturkirche zu decken. Wernigerode betreibt bereits viele kulturelle Einrichtungen, die – naturgemäß – nicht kostendeckend arbeiten. Harzmuseum, Bibliothek, Bäderbetriebe, Orchester, Stadtfeste und der Bürgerpark werden anteilig aus der Kurtaxe finanziert. Eine Stadt mit 32.000 Einwohnern hat jedoch begrenzte finanzielle Möglichkeiten. Wenn nun auch noch die Kulturkirche hinzukommt, wird die Finanzierung des kulturellen Angebots insgesamt noch schwieriger. Was am Ende bleiben könnte, sind Steuer- und Gebührenerhöhungen, die auch von denen zu zahlen wären, die mit der Kulturkirche wenig anfangen können. Ob dies gerechtfertigt oder gerecht ist, mögen die Bürgerinnen und Bürgern beantworten.
Ein Zeichen der Demut wäre angebracht von denen, die die Stadt mit egoistischer Maßlosigkeit in diese schwierige Lage manövriert haben und nun verlangen, von der Allgemeinheit gerettet zu werden. Das wäre wirklich anständig und kulturvoll.
Nachtrag: Am 20. Juni 2024 fasste der Stadtrat den Beschluss, den Betrieb der Kulturkirche in die Hände der WTG zu legen und die daurch anfallenden Defizit aus der Stadtkasse zu decken.
Hier können Sie die Aufzeichnung der vorausgehenden Stadtratsdebatte ansehen:
Autor: Thomas Schatz
