Braucht Wernigerode ein flexibles Kita-Modell?

In Wernigerode ist das Angebot an Kindertagesstätten hochwertig. Würden dennoch erweiterte Öffnungszeiten helfen, den Alltag von Familien mehr zu unterstützen? Der neue Antrag der Fraktion BfW/FDP zur „Sonne, Mond und Sterne-Kita“ stellt genau diese Frage. „Ziel ist es, herauszufinden, ob die aktuellen Öffnungszeiten der Kitas mit den Lebensrealitäten von Eltern zusammenpassen,“ erklärt Fraktionsvorsitzender Thomas Schatz. „Oder anders formuliert: Können wir etwas tun, um in unserer Stadt Familie, Beruf und wirtschaftliche Entwicklung besser unter einen Hut zu bekommen?“

Wenn die Arbeit früher beginnt und später endet

Eltern kennen das Problem: Die Kita öffnet erst um 6 Uhr, doch die Arbeitszeit beginnt ebenfalls um sechs. Oder der Arbeitstag im Einzelhandel endet erst nach 20 Uhr – und die Betreuungslücke muss durch Großeltern oder private Netzwerke gestopft werden. Gerade für Alleinerziehende kann das zur unlösbaren Aufgabe werden.

Eine Kita mit erweiterten Betreuungszeiten in den Stunden des frühen Morgens, des späten Abends oder sogar der Nacht könnte solche Engpässe entschärfen. „Doch bevor über ein solches Modell entschieden wird, braucht es eine fundierte Bedarfsanalyse, die die tatsächlichen Bedürfnisse der Familien in Wernigerode erfasst,“ so Schatz.

Warum flexible Betreuung mehr ist als ein Familienservice

Was auf den ersten Blick wie ein familienpolitisches Thema erscheint, hat auch große sozial- und wirtschaftspolitische Relevanz. Denn wer keine Betreuung für seine Kinder findet, kann oft nur eingeschränkt oder manchmal gar nicht arbeiten. Besonders betroffen: Alleinerziehende. Ihre Armutsgefährdung liegt in Deutschland laut Statistik bei über 40 Prozent – mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt.

Flexible Betreuungsmodelle sind also nicht nur ein „Nice to have“, sondern ein gezielter Hebel zur Armutsprävention und zur Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe.

Fachkräftesicherung beginnt in der Kita

Der Fachkräftemangel betrifft viele Branchen, von der Pflege über den Einzelhandel bis hin zum Tourismus. Gerade zu besonders frühen und späten Arbeitszeiten ist Personal schwer zu finden. Eine Kita mit erweiterten Öffnungszeiten könnte dabei helfen, Erwerbsarbeit besser mit Familienleben zu vereinen und so Fachkräfte in der Region zu halten.

Für Wernigerode als Tourismusstandort ergäbe sich daraus möglicherweise ein strategischer Standortvorteil: Mehr Eltern, die arbeiten können – und mehr Unternehmen, die verlässlich planen können.

Erst prüfen, dann machen: Warum eine Bedarfsanalyse notwendig ist

Die Argumente für eine flexible Kita sind stark – aber sie basieren bislang auf bundesweiten Studien. Ob und wie sehr sich diese auch auf die konkrete Situation in Wernigerode übertragen lassen, ist unklar. Genau deshalb ist eine lokale Bedarfsanalyse entscheidend. Thomas Schatz hält es für wichtig, dass Eltern und Wirtschaft ihre Meinungen zu der Idee einbringen können.

Doch nicht nur die potenzielle Nachfrage nach erweiterten Öffnungszeiten ist zu klären. „Die Verwaltung soll aufzeigen, welche finanziellen Auswirkungen sich für die Stadt als auch für die Eltern ergeben würden“, sagt der Fraktionsvorsitzende.

Sonne, Mond und Sterne – ein Kita-Modell mit Zukunft?

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist mehr als ein politisches Schlagwort – sie entscheidet über Lebensqualität, Chancengleichheit und wirtschaftliche Entwicklung. Mit dem Projekt „Sonne, Mond und Sterne-Kita“ könnte Wernigerode einen innovativen Schritt gehen – wenn es Eltern, Wirtschaft und die Politik befürworten. Der Beginn ist gemacht: Die Stadträte verwiesen den Antrag auf ihrer Sitzung am 28. Oktober einstimmig zur Beratung in die Ausschüsse.